Verficktes Herz: & andere Geschichten (German Edition) by Gantenbrink Nora

Verficktes Herz: & andere Geschichten (German Edition) by Gantenbrink Nora

Autor:Gantenbrink, Nora [Gantenbrink, Nora]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644489219
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2013-09-30T22:00:00+00:00


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MICHAEL JACKSONS MUTTER

I

ch wache morgens auf, gehe aufs Klo und rieche direkt die Vanillenote in meinem Urin. Süßlicher Harn warnt vor Stress, so steht es in meinem Chakra-Buch. Tage, die so beginnen, enden nicht gut.

Ich sage meinem Spiegelbild «Guten Morgen, schöne Frau!» (Selbstachtung) und ziehe rote Socken an (Wurzelchakra/Erdung). An der Tür schellt es, aber ich mache nicht auf. Morgens mag ich es überhaupt nicht, wenn mich jemand aus dem Sunshine-Rhythmus bringt (Seien Sie konsequent!).

Auf Oldie 95 verlosen sie grad Gartenstühle, dabei schneit es draußen noch. Schon mein Opa sagte immer: «Kind, die Menschen sind so dämlich, die Hälfte von ihnen kannst du das Klo runterspülen!» Einmal wandte ich ein: «Ach, Opa!», dann schrie er: «Stimmt, es sind mehr!»

Ich mache mir jetzt Müsli. Frische Heidelbeeren, Haselnüsse, Walnüsse, 1 Viertel Apfel, Haferflocken und Naturjoghurt. Leider bin ich trotz meiner gesunden Ernährung nie ganz schlank geworden, was so seltsam wie bedauerlich ist.

Mein Name ist Regina Bröseldorf, geborene Göbel. Ich bin Sekretärin bei einer überregionalen Boulevardzeitung. Ressort Panorama. Das große Bunte. Mein Chef ist ein Mann mit roten Flecken im Gesicht und einem schwarzen SLK. Ich finde beides nicht attraktiv.

Der Chef ist nicht nur hässlich und grobgliedrig, sondern auch cholerisch. Einmal hat er mir aus seinem Zimmer einen Schlüssel an den Kopf geworfen, weil sein Kaffee nicht schnell genug kam. Außerdem ist er politisch unkorrekt. Er sagt immer Neger und Ölauge. Der Chef hasst aber nicht nur Ausländer, sondern auch mich. Er nennt mich hinter meinem Rücken «die Bröseldoof».

Noch dazu ist der Chef ein unmoralischer Mann. Er schläft mit einer Online-Volontärin. Obwohl er verheiratet ist.

Wenn ich schon sehe, wie diese Onlinerin immer in mein Büro rauscht. «Ist der Heinz da, ist der Heinz da?» Sie fragt das immer so, als ob etwas sehr Dringendes wäre, aber es ist gar nichts. Die Online-Volontärin hat unechte Fingernägel und ist sehr dick geschminkt. Ich glaube, sie ist so eine Frau, die sich sehr wichtig nimmt.

Die Onlinerin macht bestimmt bloß mit dem Chef rum, um von Online zu Print wechseln zu dürfen. Ich weiß, wie es da zugeht im Online. Immer Schnellschnell, Schuschu und Schichtdienst. Die Printjournalisten nennen die Onlineredaktion Nordkorea. Nicht, dass bei uns alles besser wäre. Ein bisschen vielleicht.

Ganz früher war es nicht nur ein bisschen besser, sondern richtig gut. Da hatten wir noch Geld, und immer hieß es: «Frau Bröseldorf, wir brauchen ganz schnell einen Hubschrauber!» Dann habe ich einen Hubschrauber für die Fotografen besorgt, das war alles gar kein Problem. Als 2002 die schlimme Flut war, hatten wir drei Wochen einen auf Stand-by gebucht. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Die Leute in meinem Ressort sind leider auch nicht nett. Die halten sich für was Besseres, sind aber bloß Bluthunde. Die klingeln an Türen von Familien, deren Kind grad totgefahren wurde. Würde ich nie machen. Es gab nur einmal einen, der war nett. Lothar Rickrode hieß der. Der bekam diese Krankheit, bei der sich der Darm selbst verdaut, und ging in Frührente.

Ich habe mich jahrelang für diesen Laden aufgeopfert, aber vor etwa zwei Jahren beschlossen, dass es reicht.



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